In Basdahl auf dem Sportgelände Am Diesterkamp wehen die Zirkusfahnen im Wind und viele Kinder laufen geschäftig zwischen den Zelten und Wohnwagen hin und her. In einem kleinen überdachten Rund steht Zoey und hat gemeinsam mit einem jüngeren Mädchen die Ziege Franzi an der Leine. Sie sind Teil der Gruppe „Ziegendressur“. Die Drei stehen ganz vorne und sind bei jeder Übung die Ersten in der Reihe. So wird es dann auch wenige Tage später bei der großen Aufführung sein. Für Zoey ist das aber kein Problem: „Ich bleibe entspannt, auch wenn ich schon ein bisschen aufgeregt bin“, erzählt sie.
Und dann lässt sie Franzi souverän zum Beispiel über einen Stuhl steigen, einen Steg balancieren oder ein kleines Hindernis springen. Alle Kinder und Ziegen machen ihre Sache gut und haben die Übungen geschafft. Zur Entspannung und zum Durchatmen geht die gesamte Gruppe eine kleine Anhöhe hoch, wo die Tiere ein bisschen grasen können. Zur Belohnung umarmt Zoey die Ziege und streichelt sie, aber nur kurz, denn dann zieht es Franzi schon wieder woanders hin – Ziegen haben bekanntlich ihren eigenen Kopf. „Ich mag Ziegen einfach gerne, darum habe ich mich für diese Gruppe entschieden“, lacht Zoey.
Intensiver Austausch und viel Neues – gemeinsames Projekt macht allen Spaß
Die 10-Jährige ist Schülerin an der staatlich anerkannten Tagesbildungsstätte Helga-Leinung-Schule (HLS) der LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven. Sie besucht den Kooperationsstandort Hermann von Issendorf Schule in Basdahl. Die rund 80 Kinder der Grundschule sowie des Schulkindergartens und die sechs Schüler:innen der HLS erleben gemeinsam eine ganz besondere Zeit: Sie alle haben eine Zirkusprojektwoche. Am ersten Tag hat der Zirkus „Eldorado“ aus Lilienthal sich und alle neun möglichen Gruppen vorgestellt: Neben der Ziegendressur sind Lamadressur, Hundedressur, Bodenakrobatik, Voltigieren, Trapez, Clowns, Cowboys und Tellerdrehen im Angebot. Am zweiten Tag haben sich die Kinder für eine Gruppe entschieden und mit den Proben für ihre Darbietungen begonnen. Am fünften und letzten Tag bilden die Generalprobe und die nachmittägliche Aufführung für Eltern, Angehörige und Lehrkräfte den großen Abschluss.
Ziel des Zirkusprojektes ist es, die Kinder für Neues zu begeistern, zum Ausprobieren anzuregen und ihnen Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Besonders durch die abschließende Darbietung vor Publikum wird zudem ihr Selbstbewusstsein gestärkt. „Diese Projektwoche findet alle vier Jahre statt. Da wir vor rund vier Jahren mit der Kooperation hier in Basdahl begonnen haben, ist das unsere erste Zirkuswoche und ganz aufregend für uns“, erklärt HLS-Klassenleitung Janine Noetzelmann. Sie und ihr Team sind mit vor Ort, da manche ihrer Schüler:innen einen erhöhten Bedarf an Assistenz und Begleitung haben. „Alle Kinder freuen sich täglich auf die Proben, haben Spaß, machen so viel wie sie sich jeweils zutrauen und geben ihr Bestes. Die Projektwoche ist für uns alle eine wichtige und sehr gute Abwechslung, die den Austausch zwischen den Kindern mit und ohne Behinderungen noch einmal intensiviert.“
In den regulären Unterrichtswochen haben die Schüler:innen der HLS Unterricht im eigenen Klassenraum innerhalb der Grundschule. Die Pausen und die Mahlzeiten finden zusammen mit den Kindern der Hermann von Issendorf Schule statt. Zudem gibt es wöchentlich gemeinsamen Unterricht in Musik mit der dritten Klasse der Grundschule sowie in Sport mit dem Schulkindergarten. Darüber hinaus absolvieren die HLS-Schüler:innen alle zwei Wochen gemeinsam mit der vierten Grundschul-Klasse Schwimmunterricht. Dadurch finden täglich Begegnungen von Schüler:innen mit und ohne Behinderungen statt, wodurch ein Lernen voneinander und miteinander ermöglicht wird. „Unser Team und die ganze Klasse fühlen sich in der Grundschule Basdahl äußerst wohl. Das Kollegium begegnet uns mit großer Offenheit und die Schulleiterin Frau Linke-Pohl unterstützt die Kooperation jederzeit mit viel Engagement. Hierdurch ist eine ganz tolle Zusammenarbeit entstanden“, erklärt Janine Noetzelmann hochzufrieden.
Abschluss im Scheinwerferlicht – ein gemeinsamer Erfolg
Auch Zoey fühlt sich wohl in ihrer Zirkusgruppe und ist voll mit dabei. Kein Wunder, dass die Zeit schnell vergeht. Und dann ist schon der Abschlusstag gekommen: Die Scheinwerfer gehen an, die Aufregung bei jedem Kind steigt, der Vorhang öffnet sich und die Aufführung beginnt. Im Zirkuszelt sitzen Eltern, Familien, Angehörige und Lehrkräfte. Vor ausverkauftem Haus zeigen die jungen „Zirkusleute“, was sie alles während der Woche gemeinsam und Hand in Hand gelernt haben. Mittendrin ist auch Zoey – sie und alle anderen Kinder meistern ihre Auftritte und sorgen für tolle Stimmung und viel Applaus. „Es war eine grandiose Show, die die Eltern und Familien sehr begeistert hat. Alle Kinder haben sich selbst übertroffen. Die Zirkusleute haben wirklich bei allen Schüler:innen das Beste rausgeholt“, fasst Janine Noetzelmann die Projektwoche stolz und froh zusammen.
Die Helga-Leinung-Schule (staatlich anerkannte Tagesbildungsstätte) ist eine im niedersächsischen Schulgesetz verankerte Einrichtung, in der Schüler:innen mit einem Förderbedarf im Bereich Geistige Entwicklung ihre Schulpflicht ableisten. Grundlage für die Unterrichtsinhalte ist das niedersächsische Kerncurriculum für den Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Derzeit zählt die Helga-Leinung-Schule (HLS) etwa 113 Schüler:innen, die in insgesamt 16 Klassen unterrichtet werden. Die Klassen verteilen sich auf sieben Kooperationsstandorte an Grund- und weiterführenden Schulen im gesamten nördlichen Landkreis sowie drei Standorte ohne Kooperation in Selsingen. Die Fördereinrichtung wurde nach der langjährigen Leiterin Helga Leinung benannt, die 2003 verstarb. Der Träger ist die LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven.